Günther Dankl
"Der Körper als Kunstform"

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Dass August Stimpfl in einer 1979 erschienenen Dokumentation über das „plastische Schaffen in Nord-, Süd- und Osttirol" noch als „Tiroler Bildhauer" eingereiht wurde1, mag nur auf den ersten Anblick befremden. Sagt doch diese Tatsache mehr über die Situation der Kunst dieser Zeit aus, als über das Schaffen des 1924 in Imst geborenen Künstlers selbst. Wie nicht wenige seiner Künstlerkolleginnen und -kollegen hat sich auch der Absolvent der Akademie der bildenden Künste in Wien in den Jahren nach dem Abschluss seines Studiums 1951 vorwiegend mit Arbeiten im öffentlichen Raum, zumeist keramische Wandgestaltungen, finanziell über Wasser gehalten. Der Besuch der Kunstgewerbeschule von 1938 bis 1941 hat ihm dazu das notwendige handwerkliche Know-how vermittelt. Von seinem Lehrer an der Akademie Robin C. Andersen hat er darüber hinaus ein lineares und rationales Arbeitsprinzip vermittelt bekommen, das mit verantwortlich dafür gewesen ist, dass in seinen frühen Arbeiten eine Reduktion seines Vokabulars auf abstrakte grafische und plastische Chiffren erfolgte. Noch 1975 hat er für den Eingangsbereich der Innsbrucker Sparkasse ein Relief gestaltet, dem ein Jahr später ein weiteres für die Tiroler Gebietskrankenkasse folgte. In diese Zeit fällt auch der Entwurf einer Wandgestaltung für die medizinische Fakultät der Universitätsklinik Innsbruck. Deren Ausführung allerdings hat der Künstler dann mit der Begründung abgelehnt, dass für ihn der darin betretene Weg der Abstraktion eine Sackgasse sei, weil sie „in letzter Konsequenz zwingend im Nichts" münde. Anstelle dessen widmet er sich seit dieser Zeit ausschließlich der Darstellung der menschlichen Figur, — eine Beschäftigung, die ihn in der Folge zu seinem großen Hauptthema schlechthin führt, nämlich dem des Körpers und der Körperlichkeit im Allgemeinen und dem der „Frau" im Besonderen. Eingesetzt hat diese Auseinandersetzung mit der menschlichen Figur schon ab Mitte der 1960er Jahre. Damals hat Stimpfl noch den Computer herangezogen, um mit dessen Hilfe den Körper in ein feinlineares Netz aufzulösen. Ab den 70er Jahren hat er sich dann von dieser programmatischen und technoid wirkenden Arbeitsweise ab- und einer freien, rein aus dem Handgelenk heraus erfolgenden Gestaltungsweise zugewandt. Bereits von 1965 stammt ein mit „Das Paar" betiteltes und mit dem Zusatz „Kreuzabnahme" versehenes Aquarell, in dem all das angelegt ist, was die Kunst von August Stimpfl von da an auszeichnen wird: Ohne Rücksicht auf die physiognomische Richtigkeit und Erkennbarkeit allein mit malerischen Mitteln gestaltet, gehen die Oberkörper der beiden geschlechtslos und zerbrechlich wirkenden Körper nahtlos ineinander über. Lediglich die abgewinkelten Beine der rechten, dunkel gehaltenen Figur geben der Darstellung Halt. Nackt den Blicken des Betrachters ausgesetzt, findet die Zerbrechlichkeit der beiden Figuren in den Verletzungen des Papiers ihre Entsprechung. Es ist ein fragiles Menschenbild, das uns der Künstler hier vor Augen führt und das nicht von seiner äußeren Erscheinung her, sondern von seiner inneren, oftmals durch ein Leid ausgelösten Verletzbarkeit geprägt erscheint. Fünf Jahre später gestaltet der Künstler mit kräftigen, rasch neben- und übereinandergesetzten Strichen einen weiblichen „Akt", dessen auslandende Hüften im Kontrast zum schmächtigen Oberkörper sowie dem leicht geneigten Kopf und den erhobenen Armen stehen. In der Zeichnung mit angelegt ist somit eine offen zum Ausdruck kommende sexuelle Komponente, die neben dem Aspekt des Zerbrechlichen und Verletzlichen seither mit zum bestimmenden Inhalt der Kunst Stimpfls zählt. Von diesem Zeitpunkt an arbeitet der Künstler nunmehr an ein und derselben Figur, stets darum bemüht, dem Körper als Landschaft, „Traum"2, Ur-Sprung des Daseins, Seh(n)-Sucht und Teil der männlichen Be- und Neugierde zugleich Ausdruck zu verleihen. „Der Körper ist die Kunstform des Lebens", formuliert 1982 gleichsam als Motto dazu Peter Weibel 3 knapp und bündig. Gleichsam als dessen vorweggenommene Bestätigung hat August Stimpfl ein paar Jahre zuvor das Aquarell einer „Schreitenden" (1978) geschaffen, um das herum bzw. in dessen zeitlicher Nähe dazu in der Folge eine Reihe von Aquarellen entsteht, die er mit „Schwarze" (1977), „Breitbeinige", „Herrscherin" (1979), „Schwangere" (1979), „Die Fidele" (1979), „Kämmende" (1979), „Frau mit Peitsche" (198o) oder einfach „Liegende" (1980) betitelt. All diesen Aquarellen liegt ein und dieselbe, rein aus der Farbe ohne lineare Begrenzung heraus erfolgte formale Ausführung zugrunde. Diese, maßgeblich durch Herbert Boeckl, seinem weiteren und vielleicht wichtigeren Lehrer an der Akademie, beeinflusste Arbeits- und Gestaltungsweise, hat Weibel dazu veranlasst, Stimpfls in Wien präsentiertes Œuvre in die Reihe der großen Künstler und Künstlerinnen der österreichischen Körperästhetik des 20. Jahrhunderts, beginnend mit Klimt, Schiele und Gerstl über die Wiener Aktionisten bis herauf zu Arnulf Rainer oder Maria Lassnig, zu stellen.4 Zugleich hat er aber auch in seiner als Plädoyer für das „Sehen" und „Wissen" abgefassten Rede5 auf die Besonderheit und Eigenständigkeit des Kunstwollens von August Stimpfl hingewiesen. Einige Jahre später hat Otto Breicha darüber hinausgehend seine Arbeiten mit dem Werk so bekannter „Kunst-Größen" wie Alberto Giacometti oder Francis Bacon in Zusammenhang gebracht6. Und Gert Ammann schließlich hat in seinem Katalogbeitrag zur Retrospektive im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum 1994 den barocken Anteil im Schaffen von August Stimpfl unterstrichen.7 Mit dieser Einordnung in die bis in die Barockzeit zurückreichende Tradition der österreichischen Körperästhetik wurde von der sein Werk begleitenden Kunstkritik und –literatur8 die Tür für eine körperbewusste Kunst(t)raumfahrt mit dem Künstler als Piloten geöffnet, die den Betrachter in eine Welt bringt, die auf den ersten Blick außerhalb unserer täglichen — und dadurch bekannten — Erfahrungswelt zu liegen scheint, bei näherer Betrachtung jedoch zugleich auch sehr viel mit dieser selbst zu tun hat. „Das Paar" oder „Astronauten" betitelt sich ja bezeichnenderweise auch ein 1987 geschaffenes Bild, das sich im Besitz der Stadtgemeinde Imst befindet und auf dem ein eng aneinandergeschmiegtes, in typischer Stimpfl-Manier ausgeführtes Paar horizontal durch ein blaugraues Farbfeld schwebt. Mehr als zehn Jahre später hat sich, wie in dem Gemälde „Kuss der Astronauten" (1999), dieses Astronautenpaar zu einem einzigen Körper verdichtet. Noch enger ineinander verschlungen erscheint das Paar nunmehr in einem dunklen Hintergrund mit fast gespenstisch wirkenden weißen Köpfen, aus denen die leuchtend roten und einander sich berührenden Lippen kräftig herausstechen. Mittels rasch hingeworfener Striche deutet der Künstler die Konturen der beiden Figuren an und lotet deren Körperlichkeit aus, ohne dabei auf die physiognomische Richtigkeit Rücksicht zu nehmen. Die einzelnen Körperteile der einen Figur gehen nahtlos in die der anderen über und es ist schier unmöglich zu bestimmen, welche Teile und Striche zu welchem Körper gehören. Ähnlich verhält es sich mit der Farbe, die der Künstler zum Teil mit breiten Pinselstrichen über das graphische Körpergewebe legt. Noch mehr als durch die Linien werden die Körper durch die Farbe aneinander gebunden. Das mächtige Rot im Zentrum lässt dabei als dynamisches und energiebildendes Element die beiden Körper zu einem einzigen Gesamtkörper verschmelzen. Aber auch andere Farbtöne tauchen vereinzelt oder verstärkt an immer wieder verschiedenen, oftmals auch gegenüberliegenden Stellen auf und geben dadurch der gesamten Komposition nicht nur ihren formalen Zusammenhalt, sondern sind zugleich auch Metaphern für Existentielles und Spiegel für diverse Valeurs des Körperlichen und Leiblichen. Dennoch, was in dem aus dem reichhaltigen Werkkatalog des Künstlers zufällig gewählten Bild9 wie schnell hingesetzt wirkt, ist in Wirklichkeit das Ergebnis eines Arbeitsprozesses, der sich über längere Zeit erstreckt. Oftmals liegen in einem Bild mehrere Schichten übereinander, wobei sich die letztendlich fertige Gestaltung erst während des Arbeitsprozesses selbst allmählich herausbildet. In allen Arbeiten halten sich das graphische und das malerische Element die Waage. Für den Künstler sind beide Elemente gleichwertig und deshalb ist er bestrebt, stets die Mitte zu finden. Mit den eben aufgezeigten formalen Mitteln gestaltet der Künstler nicht nur so profane Themen wie „Plunder und Krempel" (2003) oder die einfache Darstellung eines „Spanischen Kruges" (1993) oder zweier nebeneinanderliegender „Schlafsäcke" (2008), mit ihnen führt er in erster Line die seit den 1970er Jahren andauernde Befragung des weiblichen Körpers durch: „Frau", Stimpfls immer wiederkehrendes Hauptthema, dessen Auslotung in seinem psychologischen und vielschichtigen Bedeutungsinhalt sich für ihn aus nächster Nähe ergeben hat, nämlich im Erleben seiner Familie mit Mutter, Frau und den beiden Töchtern. Und wenngleich auch als Titel mitunter bestimmte Namen, wie Carmen, Susanna oder die seiner Töchter Eva und Angelika, aufscheinen, so sind es meist keine bestimmten Frauen, an die der Künstler beim Malen seiner weiblichen Körperbilder denkt. Vielmehr interessieren ihn das Prototypische sowie die Frau in ihren diversen Metamorphosen. Er arbeitet an Archetypen, zeigt uns die Frau als Urmutter, als Gebärerin und Lebensspenderin. Dann erliegt er wieder der Aura der Geliebten und malt Körper, die sich gegenseitig im Geschlechtsakt gleichsam „einverleiben". In diesem Sinne taucht als Titel seiner Arbeiten daher auch immer wieder die synonyme Verwendung von „Lieben" und „Leiben" als bewusstes Sprachspiel auf. Auch stellte er sie in ihrer dominanten Erscheinung als „Amazone" (1988) oder „Domina" (1998) dar, lässt sie über den „Laufsteg" (1994) wandeln oder hebt sie in entblößter Pose auf Sockeln oder Podeste. Und in wieder anderen Bildern verwandeln sich die Körper zu Landschaften und bilden gleichsam als Äquivalente von Natur und Körper sogenannte „Körper-" bzw. „Leiblandschaften" (1993), wie sie im Œuvre von August Stimpfl gerade in den letzten fünfzehn Jahren immer wieder zu finden sind.
Kristian Sotriffer hat einmal in Bezug auf das Schaffen von August Stimpfl von der „Erkundung des Weiblichen" gesprochen. In diese Erkundung mit eingeschlossen sind die Präsenz des Leiblichen und Körperlichen ebenso wie die gegenseitig abhängige Existenz von Mann und Frau. Damit wird klar, dass es in all den Arbeiten des heute 85-jährigen Künstlers um die breite Dimension des Menschseins schlechthin geht, d. h. um Fragen des Woher und Wohin — aber auch um die Frage des Bildes davon: Denn was das „Geschlecht von Bildern betrifft, so ist klar, dass die ,Mangel'-Position von Bildern feminin ist, denn sie konstruiert den Zuschauer, wie Norman Byrson sagt, >um eine Opposition zwischen der Frau als Bild und dem Mann als Träger des Blicks<".10 „Seine Bilder zeigen uns, wenn wir sehen können, der Körper ist die Kunstform des Lebens." Es ist notwendig, den von Peter Weibel getätigten Satz abschließend in seiner gesamten Länge zu wiederholen, um sich dessen Bedeutung und Tragweite im Schaffen von August Stimpfl bewusst zu werden. Denn mit „Körper" ist bei ihm nicht nur die physische und psychische Existenz des Menschen gemeint, sondern das Verhältnis des Menschen zur Natur und zur Landschaft ebenso wie zur Religion. Letzteres kommt gerade in Bildern wie „Altar, Opfer" (1989), „Kreuz" (1990), „Pietà" (1999) oder „Frau am Kreuz" (1998) deutlich zum Ausdruck. Und diese Eigenschaft, nämlich aus dem Besonderen und Einmaligen das allgemein Gültige und Unvergängliche herauszuarbeiten und zur Anschauung zu bringen, das ist es, was nicht zuletzt über die formale Qualität hinausgehend die Zeitlosigkeit und Aktualität der Kunst von August Stimpfl zugleich ausmacht. Anmerkungen: 1 Tiroler Bildhauer. Plastisches Schaffen in Nord-, Süd- und Osttirol, hg. von der Tiroler Künstlerschaft (Innsbruck 1979) 2 "Der Körper trägt den Traum" betitelt Peter Weibel seine Eröffnungsrede zur Ausstellung von August Stimpfl in der Galerie Elefant in Wien 1982. Veröffentlicht in: Parnass, Jg. III, Heft 2 (Linz 1983) 66-69 3 Weibel, Der Körper trägt den Traum (wie Anm. 2) 69 4 Vgl. Weibel, Der Körper trägt den Traum (Anm. 2) 5 „Dieser Text soll Ihre Aufmerksamkeit und Ihren Blick auf einige Merkmale der Kunst von August Stimpfl lenken, auf ihre sichtbare Oberfläche, damit deutlich wird, was ihr an Bedeutung zugrunde liegt. Damit Sie erst einmal sehen und damit gleichzeitig auch wissen.“ Weibel, Der Körper trägt den Traum (Anm. 2) 66 6 Otto Breicha. Weibliches – Leibliches zu August Stimpfl, in Kat. August Stimpfl, Galerie Ammering (Ried im Innkreis 1999) 8 7 Gert Amann, August Stimpfl, Barocke Sinnesfreude, in: Kat. Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck und Schloss Maretsch, Bozen (Innsbruck 1994) 6-9 8 Als wichtiger weiterer Beitrag über die bereits genannten hinausgehend ist zu erwähnen: Kristian Sotriffer, Eine Kunst des Staunens, in: August Stimpfl, Zeichnungen, Aquarelle, Gouachen, Gemälde, Edition Galerie Elefant Landeck (Innsbruck 1989) 7-13 9 Ebenso hätte man die Werke „Roter Katarakt“ (2001), „Figuren-Bündel“ (2001), „Zwei“ (2003) oder „Froschweib“ (2003) aus der Ausstellung nehmen können. 10 W. J. T. Mitchell, Was Bilder wirklich wollen, in: W. J. T. Mitchell, Bildtheorie (Frankfurt/Main 2008) 355

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Informationen: Dr. Angelika Stimpfl